Kriegsseifen
Seife im Ersten Weltkrieg

Was halten Sie von Seifenrezepten mit Kakaobutter, Honig und Milch ? Mich beschleicht dabei das Gefühl, daß da jemand die Seiten im Kochbuch vermischt hat. Aus Butter, Honig und Milch besteht normalerweise mein Frühstück. 

Lebensmittel in die Seife zu geben, wäre in der Vergangenheit nicht vorstellbar gewesen, zu groß war der Mangel an Fetten und Ölen in der Ernährung der Bevölkerung, Seife aus guten Fetten wäre Verschwendung gewesen.  

Wie sich der krasse Lebensmittelmangel auf die Seifenproduktion ausgewirkt hat, zeigt ein Jahrgang der Seifensieder-Zeitung von 1916, also mitten aus der Kriegszeit, den ich durch Zufall erwerben konnte. 

Beim Lesen der Zeitschrift taucht man in eine schlimme Vergangenheit.  Die Wirtschaft litt schon in den ersten beiden Jahren des Kriegs unter großem Rohstoffmangel. Der Mangel betraf auch bald die Lebensmittel und damit auch die Seifenindustrie, denn sie verbrauchte Fette und Öle, die auch der Ernährung dienen konnten. Zwar hat die Seifenindustrie immer schon minderwertige und für den menschlichen Genuß ungeeignete Rohstoffe verarbeitet. In dieser Zeit des Mangels mußte sich die Bevölkerung aber sogar von minderwertigen Fetten ernähren. Um die Jahrhundertwende wurde auch der Prozeß der Fetthärtung erfunden, durch den man aus Pflanzenölen feste und streichfähige Margarine herstellen konnte. Auf diese Weise konnten Öle zu Lebensmitteln umgewandelt werden, die man früher nur für die Seifenproduktion verwenden konnte. Die Importsperre und die Seeblockade führten auch dazu, daß Palmöl und Kokosfett aus den Tropen nicht mehr eingeführt werden konnten. Diese Fette wurden bevorzugt für die Seifenindustrie importiert. Die Seifenhersteller waren umsomehr auf tierische Fette angewiesen.

 Überall mußte Seife gespart werden, und die Sparaufrufe des Staates wurden auch befolgt. 

Eine Universitätskinderklink schreibt an den preußischen Minister für Inneres: 
"Seit Februar 1915 wird mit Rücksicht auf das Knappwerden der Seife in unserer Kinderklinik ... die Seife zur Reinigung der Kinder nicht mehr benützt. Eine Ausnahme bildet die Montags-Kopfwäsche. Händewaschen nur bei älteren, im Garten spielenden Kindern. Dagegen wird den Bädern übermangansaures Kali zugesetzt"
.

Seife wurde im ersten Weltkrieg wie Lebensmittel rationiert. Die "deutsche Seifenkarte" mußte jeder vorweisen, der Seife kaufen wollte. Diese Seife hatte kaum etwas mit heutiger Seife zu tun. Es war eine "Kriegsseife", die nur zu 20 Prozent aus Fett hergestellt wurde. 80 Prozent des Produktes waren Füllstoffe, die nach unseren Gesichtspunkten praktisch keinerlei Waschkraft besaßen. 

Hier ein Link zum Thema "Seifenkarte" 

Bekanntmachung, betreffend Ausführungsbestimmungen zur Verordnung über das Verbot der Verwendung von pflanzlichen und tierischen Ölen und Fetten zu technischen Zwecken vom 6. Jänner 1916 (Reichs-Gesetzblatt Nr. 3): Der Reichskanzler stellt monatlich fest, welche Mengen und Arten pflanzlicher und tierischer Öle und Fette zur Herstellung von Seife und anderer Waschmitteln, verarbeitet oder verwendet werden dürfen. Die Verteilung dieser Mengen auf die einzelnen Betriebe erfolgt durch den Kriegsausschuß für pflanzliche und tierische Öle und Fette G.m.b.H. in Berlin.

"Die an eine Person in einem Monat abgegebene Menge darf fünfzig Gramm Feinseife (Toiletteseife, Kernseife oder Rasierseife) sowie 250 Gramm Seifenpulver nicht übersteigen. 

Die Abgabe der Feinseife und Seifenpulver darf nur gegen Ablieferung der für den laufenden oder nächsten Monat gültigen Abschnitts der von der zuständigen Ortsbehörde des Wohnsitzes auszugebenden Seifenkarte erfolgen.

Wer den Bestimmungen widerhandelt, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark bestraft."

 

Viele "Erfindungen" wurden als Seifenersatz angeboten. Eine Universitätsklink für Hautkrankheiten schreibt: 
"Wenn man Talk
(Speckstein), Bolus (ein Tonmineral) oder ähnliche Silikate durch Bindemittel zusammenschweißt, so läßt sich die Masse in Stücke pressen, die sich in Form und Aussehen von der gewöhnlichen Waschseife nicht unterscheiden, sodaß also die Suggestion vorhanden ist, man habe gewöhnliche Seife vor sich.... Die Silikate werden durch Pflanzenschleim zusammengehalten und die reinigende Wirkung durch Zusatz von Saponinen (pflanzliche Schaumbildner, wie sie z.B. im Seifenkraut zu finden sind) erhöht.... Ein kleiner Nachteil ist das Schmutzigwerden des Waschwassers und Flecke, die der Brei auf Stoffen, bzw. Kleindern macht".

Immer wieder versuchten "Wissenschaftler" zu erklären, daß den Tonmineralien eine ähnliche Waschkraft innewohnt, wie der Seife. In der Süddeutschen Apothekerzeitung schreibt Prof. Rohland über die kolloidalen Eigenschaften des Tones: 
"...die im Wasser in feinster Verteilung befindlichen Tonteilchen absorbieren organische Stoffe aller Art, es gelingt daher leicht, schmutzige Tücher durch Waschen in einer Tonbrühe und nachfolgendes gutes Ausspülen in reinem Wasser zu reinigen."

Als Seifenersatz wird folgendes Rezept vorgeschlagen: 
"Seifen-Ersatz"Deutscher Michel
Beschreibung: Dieser Seifenersatz wird hergestellt aus 90% Ton und 10% weißer Sand. Es ist dies ein vorzügliches Ersatzmittel für Seife, und es dürfte mit Rücksicht auf die durch den Krieg hervorgerufene Knappheit an Seife im Interesse der Allgemeinheit liegen, wenn ein so vortreffliches Mittel, welches sehr hervorragend wirkt, in den Handel gebracht wird....Derselbe greift nicht nur nicht die Haut im geringsten an, sondern diese wird durch den Gebrauch des Mittels äußerst zart, und reinigt gründlich.... Auch kann das Ersatzmittel von den Soldaten verwendet werden".

Die Zeitschrift veröffentlichte auch eine Liste mit Seifenfüllmitteln und der genauen Beschreibung der Eigenschaften. So wurden Seifen mit Talkum (Talk), Ton, Tonerde, Kaolin, Kieselerde, Kieselkreide, Bolus, China Clay, Mergel, Kieselgur, Kreide, Walkererde, Pfeifenton, Töpfererde und sogar Ziegelerde gefüllt. 

Je schlechter das Produkt, desto mehr Werbung muß man machen. Dies gilt auch mitten im Krieg. 

Einem Leser dieser Zeitschrift war diese Werbung anscheinend zu unseriös, sodaß er in einer Leseranfrage schrieb: "Da es der Seifentechnik bisher noch nicht möglich war, eine Seife ohne Fettgehalt herzustellen, geht meine Frage dahin, ob es gestattet ist, ein Stück Ton, welches keine Waschkraft besitzt, mit dem Namen "fettlose Edel-Tonseife" zu bezeichnen und in den Handel zu bringen. Wird dadurch das Publikum nicht irregeführt und geschädigt?"

Die Antwort des Verlages: "Die Bezeichnung eines Tonstückes, dem keinerlei Seife beigemischt ist, als Seife ist Irreführung des Publikums.... Eine Unterlassungsklage dürfte am Platze sein".

 

Tonwaschmittel wurden sogar von so großen Firmen wie etwa "Henkel & Cie" angeboten: Über die Zusammensetzung wurden folgende Angaben gemacht:

1.) Tonprodukte: Tonstein, Putzstein, Waschblock, Waschpilz: Diese Produkte bestehen aus hochplastischem Ton, welcher in Stücke gepreßt wird. Diese Blöcke zeigen reinigende Eigenschaften, zerfallen aber bald, wenn sie entweder austrocknen oder mit Feuchtigkeit intensiv in Berührung kommen. 
2.) Toilette-Ton: Bei dem Toilette-Ton geht man davon aus, die plastischen Eigenschaften des Tones möglichst zu erhöhen...indem man die Poren des Tones gewissermaßen zuleimt, sei es durch Seifenlösung, Harzseife, Leim oder andere organische Schleim- und Bindemittel.
3.) Preßtonseife: Das Charakteristische dieser Fabrikation ist, daß man in den Ton Salze einkristallisieren läßt, die viel Wasser aufnehmen können....In eine heiße 25%ige Sodalösung, die 2% Harz enthält, werden etwa 50% fein gepulverter Ton eingetragen und intensiv gemischt, bis ein einheitlicher zäher Brei entsteht. Dieser Brei wird in üblicher Weise zur Kristallisation gebracht ... und staubfein gemahlen.

Es gab auch kritische Stimmen, wie ein ungenannter Verfasser in dieser Zeitschrift schrieb: 
"In allen Ton-Arten von berufener und unberufener Seite wird uns jetzt die Tonseife angepriesen, sodaß man nicht umhin kann, sich einmal eingehend mit dieser sogenannten Seife zu beschäftigen...Unerfindlich muß es einem aber erscheinen, wie der Hersteller dazu kommt, das Präparat Tonseife zu nennen. Das Wort umgedreht "Seifenton" wäre richtiger und den Tatsachen entsprechender. Der Seifenton ist im Vergleich mit wirklicher Seife ein durchaus minderwertiges Ersatzmittel".
 

Ein Leser aus Berlin macht sich Sorgen über die Kanalisation der Städte und schreibt ebenso kritisch: 
"Für die Versorgung des deutschen Volkes werden monatlich 55 Millionen Stück Feinseife benötigt und dazu etwa 180 Doppelwaggons Kaolin von je 10.000 Kilo verbraucht; und wenn man bescheiden für die fettlosen Waschmittel nur das Dreifache, also weitere 540 Doppelwaggons hinzurechnet, so kommen etwa 7 Millionen Kilo Ton zusammen, die künftig im Monat als Schlamm in die verschiedenen Waschwässer des Haushaltes geraten"
.  

Mit welch fadenscheinigen Argumenten die Bevölkerung betrogen und getäuscht werden sollte zeigt die folgende "Erfindung":
Schutzanspruch: Stückseife mit eingelagertem Formkörper, gekennzeichnet durch die Einlagerung eines Formkörpers aus beliebigem, billigen Material, in das Innere eines Seifenstücks, wodurch ein restloser Verbrauch des Seifenmaterials ermöglicht wird.

Um eine allgemeine Regelung für die Seifenherstellung herbeizuführen wurde vom Kriegsausschuß (K.A.) eine Kriegseinheitsseife definiert, die von bestimmten Firmen, die in einer Liste eingetragen waren, hergestellt werden durfte. Diese K.A. Seife konnte gegen Abgabe von Bezugsscheinen verkauft werden. Der Verkauf von fetthaltigen Seifenersatzmitteln wurde untersagt.
In der chemisch-technischen Branche durften nur solche verseifbaren Öle und Fette verwendet werden, die zum menschlichen Genuß ungeeignet sind und auch nicht geeignet gemacht werden konnten.

Die Kriegsausschuß-Seife mußte folgende Bedingungen erfüllen:

K.A. Seifen: 19 - 21% Fettsäure-Harz-Gehalt. Als Füllmittel erlaubt: Nur mineralische Füllung, wie Ton, Speckstein u.s.f. Nicht erlaubt: Alkali- und Wasserglaszusätze.
K.A. Seifenpulver: 4,75 - 5,25% Fettsäure-Harz-Gehalt. Soda-Gehalt, höchstens 50%. erlaubt: Wasserglas, nicht über 25%, Verboten: Zusätze von Kochsalz, Sulfat und andere Streckungsmittel.

Daraus wird ersichtlich, daß die deutsche Kriegsseife nur aus rund 20% Seife aber aus 80% Zuschlagsstoffen bestand. Bei den Seifenwaschmitteln waren es gar nur 5% Seife und 95% andere Stoffe. 

In der k.k. Monarchie hatte man übrigens andere Vorschriften für eine sog. österreichische Kriegs-Verband Seife (K.V. Seife):
Vorschrift: Der fertiggestellte gewöhnliche (Seifen)Kern muß einer 24 - 30 stündigen Ruhe überlassen bleiben, bervor er auf gefüllte Seife weiterverarbeitet werden kann. 
Die Füllung der K.V. Seife besteht aus:

78 kg Wasserglas
2 kg Natronlauge
20 kg gemahlenem Kaolin

So werden 100 kg Seifenkern mit 100 kg Füllung zu einer gleichmäßigen Masse verrührt..... 

Wie man hier sieht, ging es offenbar uns Österreichern besser, denn unsere Kriegsseife war nur zu 50% mit Füllstoffen gestreckt. 

Der deutsche "Kriegsausschuß", der für die Bewirtschaftung pflanzlicher und tierischer Öle und Fette zuständig war, berichtete im Juli 1916, daß der Verbrauch an Fetten und Ölen, der vor dem Krieg in Deutschland bei 430.000 Tonnen im Jahr lag, auf etwa 40.000 Tonnen, also auf ein Zehntel reduziert werden konnte. Zur Herabsetzung des Bedarfs wurden Bundesratsverordnungen erlassen, die den Umstieg auf Ersatzmittel vorschrieben. 

Hier ein Zitat des Kriegsausschusses: 
"Auch die Apotheken, Drogen- und Chemikalienhandlungen, die zunächst noch in etwas verschwenderischer Weise Öle und Fette verbraucht hatten, wurden, wie übrigens auch die katholischen Kirchen hinsichtlich ihres Bedarfs an Brennöl und Sakramentöl in das Rationierungssystem einbezogen"

Immerhin gestand man der deutschen Bevölkerung zu, etwas mehr Fett zu verzehren als man etwa den Kriegsgefangenen bot: 
"Das schwierige Problem hinsichtlich der Bedarfseinschränkung ist die Volksernährung, denn wenn auch andere Völker mit weniger Fett auskommen als wir, so spielen dabei doch die klimatischen Verhältnisse ... eine so große Rolle. Ebenso ist es unmöglich, ein Volk nach den Grundsätzen zu ernähren, die sich in den Gefangenenlagern als praktisch durchführbar erwiesen und bewährt habe.... Der Fettverbrauch in Kuchen und Konfitüren wurde eingeschränkt, das Sahneverbot folgte....schließlich blieb aber nichts anderes übrig, als die allgemeine Beschlagnahme für Öle und Fette durchzuführen und genau vorgeschriebene Fettrationen an die Bevölkerung zuzuweisen".  

Zur Seifenregulierung berichtete der Kriegsausschuß. 
"Wir brauchen zur Herstellung sämtlicher Seifenmengen nur noch 7,5% der Rohstoffe, die wir im Frieden brauchten"

Das Seifensparen war den Kriegsherren so wichtig, daß der Kriegsausschuß Plakate mit folgendem Text drucken ließ:

Spare Seife, 
denn sie besteht aus den jetzt so nötigen und knappen Fetten und Ölen.

Tauche die Seife nie in das Waschwasser ! 

Halte sie nie unter fließendes Wasser ! 

Vermeide überflüssiges Schaumschlagen ! 

Halte den Seifennapf stets trocken ! 

Wirf die Seifenreste nie weg ! 

Hilf dir durch den Gebrauch von Bürsten, Sand, Bimsstein, 
Holzasche, Scheuergras (Zinnkraut), Zigarrenasche 
und durch häufiges Waschen in warmem Wasser !

 

Kurioses aus dem Inseratenteil

 

Wenn wir Amateur-Seifenmacher heute damit werben, daß unsere Seifen Glycerin enthalten, so mögen wir uns daran erinnern, daß im Krieg das Glycerin aus der Seifenproduktion zur Herstellung von Dynamit (= Nitroglycerin) dringend gebraucht wurde, und zwar zu "kulantesten Bedingungen". Wer dachte damals an "gepflegte Hände"......

 

Was kann man von einer Seife erwarten, die in einer Porzellanfabrik erzeugt wurde. Da in der Kriegsseife mehr Kaolin (Porzellanerde) drinnen war, als echte Seife, wollte die Rheinische Porzellan-Fabrik offenbar auf die Produktion von Seifen und Seifenersatz  umsteigen.

 

Leere Versprechungen: Die M 20.000 waren nach dem Krieg nichts mehr wert.

 

Verfasser: Herald Gessinger

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